Die gegenwärtige Diskussion zu einer Gesellschaft ohne Wirtschaftswachstum erfordert die intensive Exploration der Perspektiven des androzentrischen Mainstreams der Wirtschaftswissenschaften aus feministisch-ökonomischer Sicht.
Einen Anstoß zu vertieftem Nachdenken geben die Rahmenbedingungen der Enquete-Kommission des deutschen Bundestags zum Thema Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft (Fortschrittskommission). Im Konsens aller Parteien wurde die Sachverständigenbank ausschließlich mit Männern besetzt. Auch der Arbeitsauftrag der Kommission (Bt.Drs. 17/3853) enthält keinen Hinweis auf die Notwendigkeit, der Lebenslage von Frauen und Kindern Bedeutung beizumessen. Der dort verwendete Begriff der Generationengerechtigkeit bleibt unbevölkert – menschenleer.
Im Vorfeld hatte die Opposition vorgeschlagen, die Kommission mit der Entwicklung eines Leitbildes zur ‚Überwindung der systemischen Fehlentwicklungen alter Maßstäbe’ zu beauftragen (Bt.Drs. 17/2950). Der Vorstoß verfehlte die Mehrheit im Parlament. Andererseits blieb unklar, ob das anvisierte Leitbild die Kühnheit besessen hätte, den ‚male bias’ des etablierten Wirtschaftsverständnisses wenigstens zu benennen.
Für immer mitgemeint? – Frauen und Kinder in einer postindustriellen Welt
Das Motto der 4. Weltfrauenkonferenz 1995 hat seinerzeit auch die feministisch-ökonomische Diskussion beflügelt. Man beklagte, dass die tradierten Axiome der Wirtschaftswissenschaften die Lebensrealität von Frauen nicht abbilden. Besonders dringlich war die Frage nach der weltweit von Frauen für ihre Familien erbrachten Versorgungsarbeit.
Auch in der gegenwärtigen Debatte zu einem zukunftsfähigen Verständnis von Wirtschaften fragen Frauen nach den Freiräumen für lebensnahe Versorgung innerhalb und außerhalb globaler Gütermärkte. In den letzten Jahrzehnten sind ihre Chancen auf Teilhabe, aber auch ihre Belastungen gestiegen. Gleichzeitig stieg auch ihr eigenes und das Armutsrisiko ihrer Kinder. Inmitten einer wachsenden Güterfülle wächst die Knappheit der personalen und monetären Ressourcen, die nicht auf die Produktion von Marktgütern ausgerichtet sind.
Bezugsgröße der gegenwärtigen Wachstums-, Wohlstands- und Fortschrittsdebatte ist das durch die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR) ermittelte Bruttoinlandsprodukt (BIP). Der zugehörige Warenkorb enthält ausschließlich monetarisierte Güter und Dienstleistungen, deren Entstehung und Nutzen einer stofflich definierten ‚Produktion’ zugeschrieben wird. Aus statistischen (und anderen) Gründen gibt das BIP keine Auskunft über Tätigkeiten, die zwar Arbeitsaufwand erfordern, aber kein Produkt hervorbringen. Internationale ExpertInnen konstatieren längst eine wachsende ‚Crisis of the Care Economy’.
Nicht nur die ökonomische, sondern auch die ökologische Argumentation hat den Bezugsrahmen des Güterkreislaufs bis heute nicht verlassen. Der von alten Ökonomen gelegentlich zum ‚Güterleben’ stilisierte Prozess verschiebt die Problematik des sozialen Wandels ins Abseits des ceteris paribus (‚unter sonst gleichen Umständen’).
Es ist nicht zuletzt die Blindheit des etablierten Wirtschaftsverständnisses für die personale und soziale Dimension menschlicher Bedürfnisse, das die internationale Gemeinschaft der Wirtschaftsnationen zur Initiative ‚Beyond GDP’ veranlasst hat. Das Monitoring ihrer Ergebnisse – the more they change the more they say the same – sollte nicht im Abseits formeller Strukturen als zusätzliche Aufgabe den Frauen zugeschoben werden.
(Text: Mai 2011)